Album-Konzept
Ich release eine elektronische Symphonie, die sich thematisch mit existenzieller Furcht befasst. Sie ist in F-Moll und ein Konzeptalbum in vier Sätzen, das elektronische Musik in den Rahmen einer klassischen Symphonie setzt.
Ich fasse mich mit meiner Musik nicht kurz, um ins Radio zu passen – in Techno-Clubs und Konzertsälen ist zum Glück Platz für lange Formate. Ein Technotrack (oder der Satz einer Sinfonie) dauert selten unter sieben Minuten. Ich komponiere unter dem Aspekt von Spannungsbögen, die ich langsam aufbaue, um sie dann in einer Katharsis aufzulösen und meinen Hörer:innen emotionalen Release in Form von Euphorie, Trauer oder Wut zu ermöglichen.
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Musikalisches Konzept: Symphonie
Symphonien sind die Konzept-Alben der klassischen Musik. Vor allem in der Epoche der Klassik (18. Jahrhundert) waren symphonische Werke von einem klaren Rahmen geprägt. Für jeden Satz galten eigene Vorgaben, an die sich die Komponist:innen zu halten hatten. Diesen Rahmen habe ich mir für die Komposition der Electronic Symphony zum Vorbild genommen.
Mehr zum musikalischen Konzept
Disarray ist ein monumental-episches, fast elf Minuten langes Stück in f-moll, das sich von langsamer (70 BPM), polyrhythmischer Fragilität zum mitreißend-lebendigen Strom (160 BPM) entwickelt. Der erste Satz der Symphonie ist in der Sonatenhauptsatzform gehalten. Er stellt Haupt- und Nebenthema in f-moll vor und verarbeitet diese über den Verlauf des Stücks.
Neben den vielschichtigen Soundscapes setze ich meine Stimme als gelooptes Element ein und singe sowohl mit klassischer als auch moderner Technik. Das Intro und das Outro bedienen sich harmonisch aus dem Metal: Die Tonika (f-moll) wechselt sich mit dem nur einen Halbton höheren Ges-Dur ab, ein beliebtes Stilelement, das vom europäischen Ohr als unheilvoll wahrgenommen wird. Viele Sound- und Stilelemente dieses Stücks können in den folgenden Sätzen wiederentdeckt werden.
Threat hält sich zunächst an die klassischen Kompositionsregeln für einen zweiten Satz: langsames Lied in Paralleltonart oder naher Verwandter. Es klingt in as-moll bei moderat-langsamer Geschwindigkeit (90 BPM). Die Liedstruktur, bestehend aus Strophe, Bridge und Refrain, ist uns aus der modernen Popmusik wohlbekannt.
Im ersten Teil ist meine Stimme direkt und klar vor einem minimalistisch gehaltenen Instrumentarium zu hören. Der Text steht im Vordergrund, während sich das Stück zum ersten Drop hin durch immer mehr Vocal- und Sound-Layers verdichtet.
Der zweite Teil ist, abgesehen von geloopten Vocal-Elementen, rein instrumental und entspricht nun elektronischen Track-Strukturen. Auch hier kreieren melodisch-meditative Sound-Layer einen intensiven Build-Up, der sich gegen Ende des Stücks sanft entlädt.
Dread geht ins Aktive: Analog zur sinfonischen Komposition ist er eine Scherzo, also ein schnelles Stück mit energiegeladenen 125 BPM in der Haupttonart f-moll. Als reines Instrumentalstück ist er der elektronischste der vier Sätze und bricht gleichzeitig am wenigsten mit den Kompositionsvorgaben von Sinfonien. Im ganzen Track werden Elemente und Themen aus den ersten beiden Sätzen aufgegriffen, insbesondere dem ersten.
Dawn verarbeitet noch einmal die wichtigsten musikalischen Elemente des ersten Satzes in der Haupttonart und bildet den Schluss der Symphonie. Der vierte Satz baut sich von ruhigen, liegenden Akkorden zu einer letzten, stimmgewaltigen Katharsis mit mehreren Backgroundchören und einem dicht gewobenen Klangteppich auf, die meine flehenden Lead-Vocals begleiten.
Thema: Existential Dread
Ich widme mich in den Sinfonien jeweils einem bestimmten Gefühlszustand oder philosophischen Konzept. Dabei geht es deutlich weniger intellektuell zu, als der vorherige Satz vermuten lässt: Die dadurch entstehende Musik verschafft meinen Hörer:innen einen Zugang zu den damit verknüpften Emotionen, die sie so in einem geschützten, zeitlich begrenzten Raum erleben, erforschen und verarbeiten können.
In der ersten Symphonie geht es um „Existential Dread“, also existenzielle Angst. Diese kann durch konkrete Ereignisse wie Krieg, körperliche und emotionale Gewalt ausgelöst werden, aber auch durch passive Einflüsse, die sich einschleichen und von uns unbemerkt bleiben, bis es zu spät ist. Wer existenzielle Furcht empfindet, ist extrem starken Emotionen ausgesetzt, die jedoch gleichzeitig zeigen, wie sehr die Person am Leben hängt und dessen Ende fürchtet.
Mit den dunkleren Aspekten des Lebens zurechtzukommen, insbesondere, wenn man Traumatisches erlebt hat, ist eine große Herausforderung – eine, die durch Musik ausgedrückt und erträglicher werden kann. Isolation zum Beispiel. Die psychischen Auswirkungen der Pandemie werden wahrscheinlich nie ganz in Zahlen und Worte zu fassen sein. Die Zahl der Erwachsenen, die wegen Depressionen in Behandlung sind, hat seit 2020 stark zugenommen, ebenso wegen Angststörungen.
Song für Song: Der Verlauf existenzieller Angst
In diesem Album geht es um eine Abwärtsspirale, die Menschen in verschiedensten Situationen erfassen kann und am Ende zu unseren tiefsten Ängsten führt – und der Gewissheit, ihnen nie ganz entkommen zu können. Über den Verlauf der Stücke erleben die Hörer:innen den Verlauf einer Angstattacke mit, oder auch, wie ihre Heimat von vermeintlicher Stabilität in Chaos und Zerstörung abrutscht.
Zu Beginn ist es oft ein schleichendes Gefühl der Orientierungslosigkeit, vielleicht auch ein Kontrollverlust ob des blanken Chaos, das trotz der Illusion von Struktur, Ordnung, Gesetzen und Regeln die Basis allen Lebens ist. Dieses Gefühl kann zu einem Hintergrundrauschen werden, das unseren Alltag begleitet. Daher ist die Zeile „everywhere I look, I see disarray“ die Kernaussage des ersten Satzes. Mit der Zeit verschwindet diese Aussage als gelooptes Element in den Hintergrund — das diffuse Unwohlsein wird Teil unseres alltäglichen Empfindens, ohne dass wir es merken.
Zu diesem Gefühl gesellen sich konkrete externe „Bedrohungen“ hinzu, vor denen es sich zu verstecken und zu fliehen gilt. Auch hier sind sowohl konkrete als auch passive Ereignisse gemeint, zum Beispiel die Angst vor Krankheit, gesellschaftlicher Instabilität, Ausgrenzung oder auch die sich bedrohlich hebende Hand einer engen Bezugsperson.
In Threat manifestieren diese Bedrohungen sich als furchteinflößende Kriegerin, die weiß, dass wir in den Schatten kauern und versuchen, ihr zu entkommen. Am Ende setzt der Fluchtinstinkt ein und wir rennen, bildlich oder wirklich, um unser Leben. Ich lade jedoch auch herzlich dazu ein, diesen Song als Anti-Kriegs-Hymne zu interpretieren und widme ihn den weltweit Vertriebenen, die aufgrund der Raffgier und Machtspielchen wohlhabender Nationen ihr komplettes Leben zurücklassen mussten.
Wenn wir uns nun also bereits auf der Flucht befinden (ob nun bloß innerlich vor unseren Dämonen davonlaufen oder ganz konkret), beschleicht uns die nackte Panik. Wir gehen mit dem dritten Satz der elektronischen Sinfonie dorthin, wo Worte obsolet sind und der Körper übernimmt. Dread ist schnell, instrumental und druckvoll, der energetische Höhepunkt der Sinfonie. Unsere Angst ist nun kaum mehr auszuhalten und entlädt sich durch Kampf, Schreien und Adrenalin.
Am Ende jeder Angstattacke bleibt oft nur eines: Totale Erschöpfung. Meist ist sie gepaart mit der bitteren Erkenntnis, dass es jederzeit wieder losgehen kann und dass der einzige Weg zurück ins Licht Weitergehen ist. Die Verzweiflung, dem eigenen Verstand oder der Situation nicht entkommen zu können und trotzdem weitermachen zu müssen, ist das Thema des finalen Satzes, Dawn. Die Liedzeile „I am scared the rising sun will pass me by“ beendet die Symphonie und bringt die Dualität von existenzieller Angst und unbändigem Lebenswillen auf den Punkt.